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In unserem Lehrgang Frankfurt für Neuankömmlinge an dieser Stelle muss endlich von hessischem Genuss die Rede sein. Neugierig wie unsere neuen Mitbürger sind, lassen sie sich in einer Äppelwoi-Schenke arglos auf Gerichte mit seltsamen Namen ein. Sie ahnen nicht, wie schwer dann die durch heuchlerisches Diminuitiv werbenden Haspelchen und Leiterchen und Rippchen, womöglich noch in Begleitung von Sauerkraut und mit saurem Äppler heruntergespült, später im Magen liegen. 

Wien hat seine Sachertorte, Dresden den Stollen, New York seinen Cheese Cake – und Frankfurt? Nun, Frankfurt hält die Spitzenposition, nämlich den Frankfurter Kranz.

Der ist, Punkt eins, nicht flach, sondern deutlich höher als die Konkurrenz. Die Stadt der Türme orientiert sich auch in der Tortenfrage nach oben. Drei- bis mitunter sogar vierstöckig wird der ringförmige Kranz gebaut, aus lockerem Biskuit- oder Rührteig, gefüllt mit einer köstlichen Creme als Zwischenetage, ummantelt mit eben jener Creme sowie von knusprigem Mandelkrokant. Punkt zwei: Gekrönt wird der Tortenbau von Sahnetupfern, und gern setzt der Pâtissier rote Kirschen obendrauf.

Eindeutig verweist der Kranz damit auf die Geschichte Frankfurts als Krönungsstadt der deutschen Kaiser. Der Kranz ist gewissermaßen deren Krone, ihre Kirschen erinnern an die Rubine, völlig klar. Auf der Website der Stadt Frankfurt heißt es, die Kronentorte sei bereits 1735 von einem leider unbekannten Zuckerbäcker erfunden worden.

Bekanntlich leben Kronen in permanenter Gefahr. Das widerfuhr auch dem Frankfurter Kranz. So beliebt wie er in der hungrigen Nachkriegszeit war, als er auf jede wirtschaftswunderliche Kaffeetafel gehörte, so plötzlich galt er mit einem Mal als schwer verdaulich. Als dann auch noch versucht wurde, ihn mit billigen Zutaten zu kopieren, zankte man um die wahre Lehre. Bis vor das Koblenzer Oberlandesgericht etwa zog sich ein Rechtsstreit hin um die Frage, ob die Füllung im Kranz zur Hälfte aus Margarine bestehen dürfte. Oh Gott. Auf keinen Fall! Butter, und nichts anderes, urteilte Koblenz, nachdem mehrere Sachverständige dem Gericht dargestellt hatten, dass es hier um Grundsätzliches, ja, um ein "Spitzenerzeugnis des Konditorenhandwerks" gehe. Der Täter, äh – Bäcker musste 150 Mark Strafe zahlen. Frankfurter Konditoren fühlten sich rehabilitiert. Aber das Image war erst einmal perdu.

Nun, wenn es um Spitzenpositionen geht, lässt Frankfurt nicht locker. Man baut einfach wieder auf, wie mehrfach erprobt. Seit kurzem erlebt der Frankfurter Kranz, auch als "Frankfurt Crown" oder "Couronne de Francfort" gerühmt, ein Comeback. Auf Youtube werden Anleitungen gezeigt, auch auf Instagram ist der Kranz ein Hit (7157 Beispiele), und im Café Siesmayer am Palmengarten ist die Nachfrage so groß, dass man sich zu gleich drei Varianten entschlossen hat. Für die Großfamilie gibt es den Kranz im Ganzen, für den gewöhnlichen Cafébesucher die Miniform, und für Figurbewusste die winzige Kuppel "petite". Die ist in einem Haps verschwunden, leider.

Da hat sie sich also wieder nach oben geschoben, die süße Krone. Schon gibt es das nächste Projekt, das in die Höhe strebt. Engagierte Frankfurter sammeln für einen neuen Hut. Ein Hut? Ja. Für den Langen Franz. Er hat es nötig, tatsächlich.

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